Über die Hypothesen, welche der Geometrie
zugrunde liegen.





Aanvullende gegevens:
B. Riemann, Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrunde liegen, Habilitationsrede van Riemann bij zij aanstelling aan de filosofische faculteit van Göttingen, 10 juni 1854. Voor het eerst gepubliceerd in: Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen XIII.



Über die Hypothesen, welche der Geometrie
zugrunde liegen.

Plan der Untersuchung.

Bekanntlich setzt die Geometrie sowohl den Begriff des Raumes, als die ersten Grundbegriffe für Konstruktionen im Raume als etwas Gegebenes voraus. Sie gibt von ihnen nur Nominaldefinitionen, während die wesentlichen Bestimmungen in Form von Axiomen auftreten. Das Verhältnis dieser Voraussetzungen bleibt dabei im Dunkeln; man sieht weder ein, ob und inwieweit ihre Verbindung notwendig, noch a priori, ob sie möglich ist.
Diese Dunkelheit wurde auch von Euklid bis auf Legendre, um den berühmsteten neueren Bearbeiter der Geometrie zu nennen, weder von den Mathematikern noch von den Philosophen, welche sich damit beschäftigten, gehoben. Es hatte dies seinen Grund wohl darin, daß der allgemeine Begriff mehrfach ausgedehnter Größen, unter welchem die Raumgrößen enthalten sind, ganz unbearbeit blieb. Ich habe mir daher zunächst die Aufgabe gestellt, den Begriff einer mehrfach ausgedehnte Größe aus allgemeinen Größenbegriffe zu konstruieren. Es wird daraus hervorgehen, daß eine mehrfach ausgedehnte Größe verschiedener Maßverhältnisse fähig ist und der Raum also nur einen besonderen Fall einer dreifach ausgedehnten Größe bildet. Hiervon aber ist eine notwendige Folge, daß die Sätze der Geometrie sich nicht aus allgemeinen Größenbegriffen ableiten lassen, sondern daß [pag. 2] diejenigen Eigenschaften, durch welche sich der Raum von anderen denkbaren dreifach ausgedehnten Größen entnommen werden können. Hieraus ensteht die Aufgabe, die einfachsten Tatsachen aufzusuchen, aus denen sich die Maßverhältnisse des Raumes bestimmen lassen -- eine Aufgabe, die der Natur der Sache nach nicht völlig bestimmt ist; denn es lassen sich mehrere Systeme einfacher Tatsachen angeben, welche zur Bestimmung der Maßverhaältnisse des Raumes hinreichen; am wichtigsten ist für den gegenwärtigen Zweck das von Euklid zugrunde gelegte. Diese Tatsachen sind wie alle Tatsachen nicht notwendig, sondern nur von empirischer Gewißheit, sie sind Hyporthesen; man kann also ihre Warscheinlichkeit, welche innerhalb der Grenzen der Beobachtung allerdings sehr groß ist, untersuchen und hiernach über die Zulässigkeit ihrer Ausdehnung jenseits der Grenzen der Beobachtung sowohl nach der Seite des Unmeßbargroßen, als nach der Seite des Unmeßbarkleinen urteilen.

I. Begriff einer n-fach ausgedehnten Größe.

Indem ich nun von diesen Aufgaben zunächst die erste, die Entwicklung des Begriffs mehrfach ausgedehnter Größen, zu lösen versuche, glaube ich um so mehr auf eine nachsichtige Beurtheilung Anspruch machen zu dürfen, da ich in dergleichen Arbeiten philosophischer Natur, wo die Schwierigkeiten mehr in den Begriffen, als in der Konstruktion liegen, wenig geübt bin und ich außer einigen ganz kurzen Andeutungen, die Herr Geheimer Hofrat Gauß in der zweiten Abhandlung über die biquadratischen Reste, in den Göttingensche gelehrten Anzeigen und in seiner Jubiläumsschrift darüber gegeben hat, und einigen philosophischen Untersuchungen Herbarts, durchaus keine Vorarbeiten benutzen konnte. [pag. 3]

I.

Größenbegriffe sind nur da möglich, wo sich ein allgemeiner Begriff vorfindet, der verschiedene Bestimmungsweisen zuläßt. Je nachdem unter diesen Bestimmungsweisen von einer zu einer andern ein stetiger Übergang stattfindet oder nicht, bilden sie eine stetige oder diskrete Mannigfaltigkeit; die einzelnen Bestimmungsweisen heißen im erstern Falle Punkte, im letztern Elemente dieser Mannigfaltigkeit. Begriffe, deren Bestimmungsweisen eine diskrete Mannigfaltigkeit bilden, sind so häufig, daß sich für beliebig gegebene Dinge wenigstens in den gebildeteren Sprachen immer ein Begriff ausfinden läßt, unter welchem sie enthalten sind (und die Mathematiker konnten daher in der Lehre von den diskreten Größen unbedenklich von der Forderung ausgehen, gegebene Dinge als gleichartig zu betrachten), dagegen sind die Veranlassungen zur Bildung von Begriffen, deren Bestimmungsweisen eine stetige Mannigfaltigkeit bilden, im gemeinen Leben so selten, daß die Orte der Sinnengegenstände und die Farben wohl die einzigen einfachen Begriffe sind, deren Bestimmungsweisen eine mehrfach ausgedehnte Mannigfaltigkeit bilden. Häufigere Veranlassung zur Erzeugung und Ausbildung dieser Begriffe findet sich erst in der höheren Mathematik.
Bestimmte, durch ein Merkmal oder eine Grenze unterschiedene Teile einer Mannigfaltigkeit heißen Quanta. Ihre Vergleichung der Quantität nach geschieht bei den diskreten Größen durch Zählung, bei den stetigen durch Messung. Das Messen besteht in einem Aufeinanderlegen der zu vergleichende Größen; zum Messen wird also ein Mittel erfordert, die eine Größe als Maßstab für die andere forzutragen. Fehl dieses, so kann man zwei Größen nur vergleichen, wenn die eine ein Teil der andern ist, und auch dann nur als Mehr [pag. 4] oder Minder, nicht das Wieviel entscheiden. Die Untersuchungen, welche sich in diesem Falle über sie anstellen lassen, bilden einen allgemeinen von Maßbestimmungen unabhängigen Teil der Größenlehre, wo die Größen nicht als unabhängig von der Lage existierend und nicht als durch eine Einheit ausdrückbar, sondern als Gebiete in einer Mannigfaltigkeit betrachtet werden. Solche Untersuchungen sind für mehrere Teile der Mathematik, namentlich für die Behandlung der mehrwertigen analytischen Funktionen ein Bedürfnis geworden, und der Mangel derselben ist wohl ein Hauptursache, daß der berühmte Abelsche Satz und die Leistungen von Lagrange, Pfaff, Jacobi für die allgemeine Theorie der Differentialgleichungen solange unfruchtbar geblieben sind. Für den gegenwärtigen Zweck genügt es, aus diesem allgemeinen Teile der Lehre von den ausgedehnten Größen, wo weiter nichts vorausgesetzt wird, als was in dem Begriffe derselben schon erhalten ist, zwei Punkte hervorzuheben, wovon der erste die Erzeugung des Begriffs einer mehrfach ausgedehnten Mannigfaltigkeit, der zweite die Zurückführung der Ortsbestimmungen in einer gegebenen Mannigfaltigkeit auf Quantitätsbestimmungen betrifft und das wesentliche Kennzeichen einer n-fachen Ausdehnung deutlich machen wird.

2.

Geht man bei einem Begriffe, dessen Bestimmungsweisen eine stetige Mannigfaltigkeit bilden, von einer Bestimmungsweise auf eine bestimmte Art zu einer andern über, so bilden die durchlaufenden Bestimmungsweisen eine einfach ausgedehnte Mannigfaltigkeit, deren wesentliches Kennzeichen ist, daß in ihr von einem Punkt nur nach zwei Seiten, vorwärts oder rückwärts, ein stetiger Fortgang möglich ist. Denkt man sich nun, daß diese Mannigfaltigkeit [pag. 5] wieder in eine andere, völlig verschiedene, übergeht, und zwar wieder auf bestimmte Art, d.h. so, daß jeder Punkt in einen bestimmten Punkt der andern übergeht, so bilden sämtliche so erhaltene Bestimmungsweisen eine zweifach ausgedehnte Mannigfaltigkeit. In ähnlicher Weise erhält man eine dreifach ausgedehnte Mannigfaltigkeit, wenn man sich vorstellt, daß eine zweifach ausgedehnte in eine völlig verschiedene auf bestimmte Art übergeht, und es ist leicht zu sehen, wie man diese Konstruktion fortsetzen kann. Wenn man, anstatt den Begriff als bestimmbar, seinen Gegenstand als veränderlich betrachtet, so kann diese Konstruktion bezeichnet werden als eine Zusammensetzung einer Veränderlichkeit von n + 1 Dimensionen aus einer Veränderlichkeit von n Dimensionen und aus einer Veränderlichkeit von Einer Dimension.

3.

Ich werde nun zeigen, wie man umgekehrt eine Veränderlichkeit deren Gebiet gegeben ist, in eine Veränderlichkeit von einer Dimension und eine Veränderlichkeit von weniger Dimensionen zerlegen kann. Zu diesem Ende denke man sich ein veränderliches Stück einer Mannigfaltigkeit von Einer Diemnsion -- von einem festen Anfangspunkt an gerechnet, so daß die Werte desselben untereinander vergleichbar sind --, welches für jeden Punkt der gegebenen Mannigfaltigkeit einen bestimmten mit ihm stetig sich ändernden Wert hat, oder mit andern Worten, man nehme innerhalb der gegebenen Mannigfaltigkeit eine stetige Funktion des Orts an, und zwar eine solche Funktion, welche nich längs eines Teils dieser Mannigfaltigkeit konstant ist. Jedes System von Punkten, wo die Funktion einen konstanten Wert hat, bildet dann eine stetige Mannigfaltigkeit von weniger Dimensionen als die gegebene. Diese Mannigfaltigkeiten [pag. 6] gehen bei Änderung der Funktion stetig ineinander über; man wird daher annehmen können, daß aus einer von ihnen die übrigen hervorgehen, und es wird dies, allgemein zu reden, so geschehen können, daß jeder Punkt in einen bestimmten Punkt der andern übergeht; die Ausnahmsfälle, deren Untersuchung wichtig ist, können hier unberücksichtigt bleiben. Hierdurch wird die Ortsbestimmung in der gegebenen Mannigfaltigkeit zurückgeführt auf eine Größenbestimmung und auf eine Ortsbestimmung in einer minderfach ausgedehnten Mannigfaltigkeit. Es ist nun leicht zu zeigen, daß die gegebene Mannigfaltigkeit n - 1 Dimensionen hat, wenn die gegebene Mannigfaltigkeit eine n-fach ausgedehnte ist. Durch n-malige Wiederholung dieses Verfahrens wird daher die Ortsbestimmung in einer n-fach ausgedehnten Mannigfalitgkeit auf n Größenbestimmungen, und also die Ortsbestimmung in einer gegebenen Mannigfaltigkeit, wenn dieses möglich ist, auf eine endliche Anzahl von Qualitätsbestimmungen zurückgeführt. Es gibt indes auch Mannigfaltigkeiten, in welchen die Ortsbestimmung nicht eine endliche Zahl, sondern entweder eine unendliche Reihe oder eine stetige Mannigfaltigkeit von Größenbestimmungen erfordert. Solche Mannigfaltigkeiten bilden z.B. die mögliche Bestimmungen einer Funktiom für ein gegebenes Gebiet, die möglichen Gestalten einer räumlichen Figur usw.

II. Maßverhältnisse, deren eine Mannigfaltigkeit von n Di-
mensionen fähig ist, unter der Voraussetzung, daß die
Linien unabhängig von der Lage eine länge besitzen, also
jede Linie durch jede meßbar ist.

Es folgt nun, nachdem der Begriff einer n-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit konstruirt und als wesentliches Kennzeichen derselben gefunden worden ist, daß sich die [pag. 7] Ortsbestimmung in derselben auf n Größenbestimmungen zurückführen läßt, als zweite der oben gestellten Aufgaben eine Untersuchung über die Maßverhältnisse, deren eine solche Mannigfaltigkeit fähig ist, und über die Bedingungen, welche zur Bestimmung dieser Maßverhältnisse hinreichen. Diese Maßverhältnisse lassen sich nur in abstrakten Größenbegriffen untersuchen und im Zusammenhange nur durch Formeln darstellen; unter gewissen Voraussetzungen kann man sie indes in Verhältnisse zerlegen, welche einzeln genommen einer geometrischen Darstellung fähig sind, und hierdurch wird es möglich, die Resultate der Rechnung geometrisch auszudrücken. Es wird daher, um festen Boden zu gewinnen, zwar eine abstrakte Untersuchung in Formeln nicht zu vermeiden sein, die Resultate derselben aber werden sich im geometrischen Gewanden dartsellen lassen. Zu beidem sind die Grundlagen enthalten in der berühmten Abhandlung der Herrn Geheimen Hofrats Gauß über die krummen Flächen.

1.

Maßbestimmungen erfordern eine Unabhängigkeit der Größen vom Ort, die in mehr als einer Weise stattfinden kann; die zunächst sich darbietende Annahme, welche ich hier verfolgen will, ist wohl die, daß die Länge der Linien unabhängig von der Lage sei, also jede Linie durch jede meßbar sei. Wird die Ortsbestimmung auf Größenbestimmungen zurückgeführt, also die Lage eines Punktes in der gegegeben n-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit durch n veränderliche Größen x1, x2, x3 und so fort bis xn ausgedrückt, so wird dir Bestimmung einer Linie darauf hinauskommen, daß die Größem x als Funktionen Einer Veränderlichen gegeben werden. Die Aufgabe ist dann, für die Länge der Linien einen mathematischen Ausdruck aufzustellen, ze welchem Zwecke die Größen x als in Einheiten ausdrückbar betrachtet werden [pag. 8] müssen. Ich werde diese Aufgabe nur unter gewissen Beschränkungen behandeln und beschränke mich erstlich auf solche Linien, in welchen die Verhältnisse zwischen den Größen dx -- den zusammengehörigen Änderungen der Größen x -- sich stetig ändern; man kann dann die Linien in Elemente zerlegt denken, innerhalb deren die Verhältnisse der Größen dx als konstant betrachtet werden dürfen, und die Aufgabe kommt dann darauf zurück, für jeden Punkt einen allgemeinen Ausdruck des von ihm ausgehenden Linienelements ds aufzustellen, welcher also die Größen x und die Größen dx enthalten wird. Ich nehme nun zweitens an, daß die Länge des Linienelements, von Größen zweiter Ordnung abgesehen, ungeändert bleibt, wenn sämtliche Punkte desselben dieselbe unendlich kleine Ortänderung erleiden, worin zugleich enthalten ist, daß, wenn sämtliche Größen dx im demselben Verhältnisse wachsen, das Linienelement sich ebenfalls in diesem Verhältnisse ändert. Unter diesen Annahmen wird das Linienelement eine beliebige homogene FUnktion ersten Grades der Größen dx sein können, welche ungeändert bleibt, wenn sämtliche Größen dx ihr Zeichen ändern, und worin die willkürlichen Konstanten stetige Funktionen der Größen x sind. Um die einfachsten Fälle zu finden, suche ich zunächst einen Ausdruck für die (n - 1)-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeiten, welche vom Anfangspunkte des Linienelements überall gleich weit abstehen, d.h. ich suche eine stetige Funktion des Orts, welche sie voneinander unterscheidet. Diese wird vom Anfangspunkt aus nach allen Seiten entweder ab- oder zunehmen müssen; ich will annehmen, daß sie nach allen Seiten zunimmt und also in dem Punkte ein Minimum hat. Es muß dann, wenn ihre ersten und zweiten Differentialquotienten endlich sind, das Differential erster Ordnung verschwinden und das zweiter Ordnung darf nie negativ werden; ich nehme an, daß es [pag. 9] immer positiv bleibt. Dieser Differentialausdruck zweiter Ordnung bleibt alsdann konstannt, wenn ds konstant bleibt, und wächst im quadratischen Verhältnisse, wenn die Größen dx und also auch ds sich sämtlich in demselben Verhältnisse ändern; er ist also gleich const · ds2, und folglich ist ds gleich der Quadratwurzel aus einer immer positiven ganzen homogenen Funktion zweiten Grades der Größen dx, in welcher die Koeffizienten stetige Funktionen der Größen x sind. Für den Raum wird, wenn man die Lage der Punkte durch rechtwinklige Koordinaten ausdrückt, ds = (dx)2); der Raum ist also unter diesem einfachsten Falle enthalten. Der nächst einfache Fall würde wohl die Mannigfaltigkeiten umfassen, in welchen sich das Linienelement durch die vierte Wurzel aus einem Differentialausdrucke vierten Grades ausdrücken läßt. Die Untersuchung dieser allgemeinern Gattung würde zwar keine wesentlich andere Prinzipien erfordern, aber ziemlich zeitraubend sein und verhältnismäßig auf die Lehre vom Raume wenig neues Licht werfen, zumal da sich die Resultate nicht geometrisch ausdrücken lassen; ich beschränke mich daher auf die Mannigfaltigkeiten, wo das Linienelement durch die Quadratwurzel aus einem Differentialausdruck zweiten Grades ausgedrückt wird. Man kann einen solchen Ausdruck in einen andern ähnlichen transformieren, indem man für die n unabhängigen Veränderlichen Funktionen von n neuen unabhängigen Veränderlichen setzt. Auf diesem Wege wird man aber nicht jeden Ausdruck in jeden transformieren können; denn der Ausdruck enthält n(n + 1)/2 Koeffizienten, welche willkürliche Funktionen der unabhängigen Veränderlichen sind; durch Einführung neuer Veränderlichen wird man aber nur n Relationen genügen und also nur n der Koeffizienten gegebenen Größen gleich machen können. Es sind dann die übrigen n(n - 1)/2 [pag. 10] durch die Natur der darzustellenden Mannigfaltigkeit schon völlig bestimmt, und zur Bestimmung ihrer Maßverhältnisse also n(n - 1)/2 Funktionen des Orts erforderlich. Die Mannigfaltigkeiten, in welchen sich, wie in der Ebene und im Raume, das Linienelement auf die Form dx2 bringen läßt, bilden daher nur einen besonderen Fall der hier zu untersuchenden Mannigfaltigkeiten; sie verdienen wohl einen besonderen Namen, und ich will also diese Mannigfaltigkeiten, in welchen sich das Quadrat des Linienelements auf die Summe der Quadrate von selbständigen Differentialien bringen läßt, eben nennen. Um nun die wesentlichen Verschiedenheiten sämlicher in der vorausgesetzten Form darstellbarer Mannigfaltigkeiten übersehen zu können, ist es nötig, die von der Darstellungsweise herrührenden zu beseitigen, was durch die Wahl der verändelichen Größen nach einem bestimmten Prinzip erreicht wird.

2.

Zu diesem Ende denke man sich von einem beliebigen Punkte aus das System der von ihm ausgehenden kürzesten Linien konstruiert; die Lage eines unbestimmten Punktes wird dann bestimmt werden können durch die Anfangsrichtung der kürzesten Linie, in welcher er liegt, und durch seine Entfernung in dersleben vom Anfangspunkte und kann daher durch die Verhältnisse der Grösse dx0, d.h. die Länge s dieser Linie ausgedrückt werden. Man führe nun statt dx0 solche aus ihnen gebildete lineare Ausdrücke d ein, daß der Anfangswert des Quadrats des Linienelements gleich der Summe der Quadrate dieser Ausdrücke wird, so daß die unabhängigen Variabeln sind: die Größe s und die Verhältnisse der Größen d; und setze schließlich statt d [pag. 11] solche ihnen proportionale Größen x1, x2, . . ., xn, daß die Quadratsumme gleich s2 wird. Führt man diese Größen ein, so wird für unendlich kleine Werte von x das Quadrat des Linienelements gleich dx2, das Glied der nächsten Ordnung in demselben aber gleich einem homogenen Ausdruck zweiten Grades der n(n - 1)/2 Größen (x1dx2 - x2dx1), (x1dx3 - x3dx1), . . ., also eine unendlich kleine Größe von der vierten Dimension, so daß man eine unendlich Größe erhält, wenn man sie durch das Quadrat des unendlich kleinen Dreiecks dividiert, in dessen Eckpunkten die Werte der Veränderlichen sind (0, 0, 0, . . .), (x1, x2, x3, . . .), (dx1, dx2, dx3, . . .). Diese Größe behält denselben Wert, solange die Größen x und dx in denselben binären Linearformen enthalten sind, oder solange die beiden kürzesten Linien von den Werten 0 bis zu den Werten x und von den Werten 0 bis zu den Werten dx in demselben Flächenelement bleiben, und hängt also nur von Ort und Richtung desselben ab. Sie wird offenbar = 0, wenn die dargestellte Mannigfaltigkeit eben, d.h. das Quadrat des Linienelements auf dx2 reduzierbar ist, und kann daher als das Maß der in diesem Punkte in dieser Flächenrichtung stattfindenden Abweichung der Mannigfaltigkeit von der Ebenheit angesehen werden. Multipliziert mit -3/4 wird sie der Größe gleich, welche Herr Geheimer Hofrat Gauß das Krümmungsmaß einer Fläche genannt hat. Zur Bestimmung der Maßverhältnisse einer n-fach ausgedehnhten, in der voausgesetzten Form darstellbaren Mannigfaltigkeit wurden vorhin n(n - 1)/2 Funktionen des Orts nötig gefunden; wenn also das Krümmungsmaß in jedem Punkte in n(n - 1)/2 Flächenrichtungen gegeben wird, so werden daraus die Maßverhältnisse der Mannigfaltigkeit sich bestimmen lassen, [pag. 12] wofern nur zwischen diesen Werten keine identischen Relationen stattfinden, was in der Tat, allgemein zu reden, nicht der Fall ist. Die Maßverhältnisse dieser Mannigfaltigkeiten, wo das Linienelement durch die Quadratwurzel aus einem Differentialausdruck zweiten Grades dargestellt wird, lassen sich so auf eine von der Wahl der veränderlichen Größen völlig unabhängige Weise ausdrücken. Ein ganz ähnlicher Weg läßt sich zu diesem Ziele auch bei den Mannigfaltigkeiten einschlagen, in welchen das Linienelement durch einen weniger einfachen Ausdruck, z.B. durch die vierte Wurzel aus einem Differentialausdruck vierten Grades, ausgedrückt wird. Es würde sich dann das Linienelement, allgemein zu reden, nicht mehr auf die Form der Quadratwurzel aus einer Quadratsumme von Differentialausdrücken bringen lassen und also in dem Ausdrucke für das Quadrat des Linienelements die Abweichung von der Ebenheit eine unendlich kleine Größe von der zweiten Dimension sein, während sie bei jenen Mannigfaltigkeiten eine unendlich kleine Größe von der vierten Dimension war. Diese Eigentümlichkeit der letztern Mannigfaltigkeiten kann daher wohl Ebenheit in den kleinsten Teilen genannt werden. Die für den jetzigen Zweck wichtigste Eigentümlichkeit dieser Mannigfaltigkeiten, derentwegen sie hier allein untersucht worden sind, ist aber die, daß sich die Verhältnisse der zweifach ausgedehnten geometrisch durch Flächen darstellen und die der mehrfach ausgedehnten auf die der in ihnen enthalteten Flächen zurückführen lassen, was jetzt noch einer kurzen Erörterung bedarf.

3.

In die Auffassung der Flächen mischt sich neben den inneren Maßverhältnissen, bei welchen nur die Länge der Wege in ihnen in Betracht kommt, immer auch ihre Lage zu außer ihnen gelegenen Punkten. Man kann aber von [pag. 13] den äußeren Verhältnisse abstrahieren, indem man solche Veränderungen mit ihnen vornimmt, bei denen die Länge der Linien in ihnen ungeändert bleibt, d.h. sie sich beliebig -- ohne Dehnung -- gebogen denkt, und alle so auseinander entstehenden Flächen als gleichartig betrachtet. Es gelten also z.B. beliebige zylindrische oder konische Flächen einer Ebene gleich, weil sie sich durch bloße Biegung aus ihr bilden lassen, wobei die inneren Maßverhältnisse bleiben, und sämtliche Sätze über dieselben -- also die ganze Planimetrie -- ihre Gültigkeit behalten; dagegen gelten sie als wesentlich verschieden von der Kugel, welche sie nicht ohne Dehnung in eine Ebene verwandeln läßt. Nach der vorigen Untersuchung werden in jedem Punkte die inneren Maßverhältnisse einer zweifach ausgedehnten Größe, wenn sich das Linienelement durch die Quadratwurzel aus einem Differentialausdruck zweiten Grades ausdrücken läßt, wie dies bei den Flächen der Fall ist, charakterisiert durch das Krümmungsmaß. Dieser Größe läßt sich nun bei den Flächen die anschauliche Bedeutung geben, daß sie das Produkt aus den beiden Krümmungen der Fläche in diesem Punkte ist, oder auch, daß das Produkt derselben in eine unendlich kleines aus kürzesten Linien gebildetes Dreieck gleich ist dem Überschlusse seiner Winkelsumme über zwei Rechte in Teilen des Halbmessers. Die erste Definition würde den Satz voraussetzen, daß das Produkt der beiden Krümmungshalbmesser bei der bloßen Biegung einer Fläche ungeändert bleibt, die zweite, daß an demselben Orte der Überschuß der Winkelsumme eines unendlich kleinen Dreiecks über zwei Rechte seinem Inhalte proportional ist. Um dem Krümmungsmaß einen n-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit in einem gegebenen Punkte und einer gegebenen durch ihn gelegten Flächenrichtung eine greifbare Bedeutung zu geben, muß man davon ausgehen, daß eine von einem Punkte ausgehende [pag. 14] kürzeste Linie völlig bestimmt ist, wenn ihre Anfangsrichtung gegeben ist. Hiernach wird man eine bestimmte Fläche erhalten, wenn man sämtliche von dem gegebenen Punkte ausgehenden und in dem gegebenen Flächenelement liegenden Anfangsrichtungen zu kürzesten Linien verlängert, und diese Fläche hat in dem gegebenen Punkte ein bestimmtes Krümmungsmaß, welches zugleich das Krümmungsmaß der n-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit in dem gegebenen Punkte und der gegebenen Flächenrichtung ist.

4.
Es sind nun noch, ehe die Anwendung auf den Raum gemacht wird, einige Betrachtungen über die ebenen Mannigfaltigkeiten im allgemeinen nötig, d.h. über diejenigen in welchen das Quadrat des Linienelement durch eine Quadratsumme vollständiger Differentialen darstelbar ist.
In einer ebenen n-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit ist das Krümmungsmaß in jedem Punkte in jeder Richtung Null; es reicht aber nach der frühern Untersuchung, um die Maßverhältnisse zu bestimmen, hin, zu wissen, daß es in jedem Punkte in n·(n - 1)/2 Flächenrichtungen, deren Krümmungsmaße voneinander unabhängig sind, Null sei. Die Mannigfaltigkeiten, deren Krümmungsmaß überall = 0 ist, lassen sich betrachten als ein besonderer Fall derjenigen Mannigfaltigkeiten, deren Krümmungsmaß allenthalben konstant ist. Der gemeinsame Charakter dieser Mannigfaltigkeiten, deren Krümmungsmaß konstant is, kann auch so ausgedrückt werden, daß sich die Figuren in ihnen ohne Dehnung bewegen lassen. Denn offenbar würden die Figuren in ihnen nicht beliebig verschiebbar und drehbar sein können, wenn nicht in jedem Punkte in allen Richtungen das Krümmungsmaß dasselbe wäre. Andererseits aber sind durch das [pag. 15] Krümmungsmaß die Maßverhältnisse der Mannigfaltigkeit vollständig bestimmt; es sind daher um einen Punkt nach allen Richtungen die Maßverhältnisse genau dieselben, wie um einen andern, und also von uhm aus dieselben Konstruktionen ausführbar, und folglich kann in den Mannigfaltigkeiten mit konstantem Krümmungsmaß den Figuren jede beliebige Lage gegeben werden. Die Maßverhältnisse dieser Mannigfaltigkeiten hängen nur von dem Werte des Krümmungsmaßes ab, und in bezug auf die die analytische Darstellung mag bemerkt werden, daß, wenn man diesen Wert durch bezeichnet, dem Ausdruck für das Linienelement die Form
gegeben werden kann.

5.

Zur geometrischen Erläuterung kann die Betrachtung der Flächen mit konstantem Krümmungsmaß dienen. Es ist leicht zu sehen, daß sich die Flächen, deren Krümmungsmaß positiv ist, immer auf eine Kugel, deren Radius gleich 1 dividiert durch die Wurzel aus dem Krümmungsmaß ist, wickeln lassen werden; um aber die ganze Mannigfaltigkeit dieser Flächen zu übersehen, gebe man einer derselben die Gestalt einer Kugel und den übrigen die Gestalt von Umdrehungsflächen, welche sie im Äquator berühren. Die Flächen mit größerem Krümmungsmaß als diese Kugel werden dann die Kugel von innen berühren und eine Gestalt annehmen, wie der äußere der Achse abgewandte Teil der Oberfläche eines Ringes; sie würden sich auf Zonen von Kugeln mit kleinerem Halbmesser wickeln lassen, aber mehr als einmal herumreichen. Die Flächen mit kleinerem positiven [pag. 16] Krümmungsmaß wird man erhalten, wenn man aus Kugelflächen mit größerem Radius ein von zwei größten Halbkreisen begrenztes Stück ausschneidet und die Schnittlinien zusammenfügt. Die Fläche mit dem Krümmungsmaß Null wird eine auf dem Äquator stehende Zylinderfläche sein; die Flächen mit negativem Krümmungsmaß aber werden diesen Zylinder von außen berühren und wie der innere des Achse zugewandte Teil der Oberfläche eines Ringes geformt sein. Denkt man diese Flächen als Ort für in ihnen bewegliche Flächenstücke, wie den Raum als Ort für Körper, so sind in allen diesen Flächen die Flächenstücke ohne Dehnung beweglich. Die Flächen mit positivem Krümmungsmaß lassen sich stets so formen, daß die Flächenstücke auch ohne Biegung beliebig bewegt werden können, nämlich zu Kugelflächen, die mit negativem aber nicht. Außer dieser Unabhängigkeit der Flächenstücke vom Ort findet bei der Fläche mit dem Krümmungsmaß Null auch eine Unabhängigkeit der Richtung vom Ort statt, welche bei den übrigen Flächen nicht stattfindet.

III. Anwendung auf den Raum.

1.

Nach diesen Untersuchungen über die Bestimmung der Maßverhältnisse einer n-fach ausgedehnten Größe lassen sich nun die Bedingungen angeben, wlche zur Bestimmung der Maßverhältnisse des Raumes hinreichend und notwendig sind, wenn Unabhängigkeit der Linien von der Lage und Darstellbarkeit das Linienelements durch die Quadratwurzel aus einem Differentialausdrucke zweiten Grades, also Ebenheit in den kleinsten Teilen vorausgesetzt wird.
Sie lassen sich erstens so ausdrücken, daß das Krümmungsmaß in jedem Punkte in drei Flächenrichtungen = 0 [pag. 17] ist, und es sind daher die Maßverhältnisse des Raumes bestimmt, wenn die Winkelsumme im Dreieck allenthalben gleich zwei Rechten ist.
Setzt man aber zweitens, wie Euklid, nicht bloß eine von der Lage unabhängige Existenz der Linien, sondern auch der Körper voraus, so folgt, daß das Krümmungsmaß allenthalben konstant ist, und es ist dann in allen Dreiecken die Winkelsumme bestimmt, wenn sie in Einem bestimmt ist.
Endlich könnte man drittens, anstatt die Länge der Linien als unabhängig von Ort und Richtung anzunehmen, auch eine Unabhängigkeit ihrer Länge und Richtung vom Ort voraussetzen. Nach dieser Auffassung sind die Ortsänderungen oder Ortsverschiedenheiten komplexe, in drei unabhängigen Einheiten ausdrückbare Größen.

2.

Im Laufe der bisherigen Betrachtungen wurden zunächst die Ausdehnungs- oder Gebietsverhältnisse von den Maßverhältnissen gesondert und gefunden, daß bei denselben Ausdehnungsverhältnissen verschiedene Maßverhältnisse denkbar sind; es wurden dann die Systeme einfacher Maßbestimmungen aufgesucht, durch welche die Maßverhältnisse des Raumes völlig bestimmt sind und von welchem alle Sätze über dieselben eine notwendige Folge sind; es bleibt nun die Frage zu erörtern, wie, in welchem Grade und in welchem Umfange diese Voraussetzungen durch die Erfahrung verbürgt werden. In dieser Beziehung findet zwischen den bloßen Ausdehnungsverhältnisse und den Maßverhältnissen eine wesentliche Verschiedenheit statt, insofern bei erstern, wo die möglichen Fälle eine diskrete Mannigfaltigkeit bilden, die Aussagen der Erfahrung zwar nie völlig gewiß, aber nicht ungenau sind, während bei letztern, wo die möglichen Fälle eine stetige Mannigfaltigkeit bilden, jede Bestimmung aus [pag. 18] der Erfahrung immer ungenau bleibt -- es mag die Wahrscheinlichkeit, daß sie nahe richtig ist, noch so groß sein. Dieser Umstand wird wichtig bei der Ausdehnung dieser empirischen Bestimmungen über die Grenzen der Beobachtung ins Unmeßbargroße und Unmeßbarkleine; denn die letztern können offenbar jenseits der Grenzen der Beobachtung immer ungenauer, die ersteren aber nicht.
Bei der Ausdehnung der Raumkonstruktionen ins Unmeßbargroße ist Unbegrenztheit und Unendlichkeit zu scheiden; jene gehört zu den Ausdehnungsverhältnissen, diese zu den Maßverhältnissen. Daß der Raum eine unbegrenzte dreifach ausgedehnte Mannigfaltigkeit sei, ist eine Voraussetzung, welche bei jeder Auffassung der Außenwelt angewandt wird, nach welcher in jedem Augenblicke das Gebiet der wirklichen Wahrnehmungen ergänzt und die möglichen Orte eines gesuchten Gegenstandes konstruiert werden und welche sich bei diesen Anwendungen fortwährend bestätigt. Die Unbegrenztheit des Raumes besitzt daher eine größere empirische Gewißheit als irgendeine äußere Erfahrung. Hieraus folgt aber die Unendlichkeit keineswegs; vielmehr würde der Raum, wenn man Unabhängigkeit der Körper vom Ort voraussetzt, ihm also ein konstantes Krümmungsmaß zuschreibt, notwendig endlich sein, sobald dieses Krümmungsmaß einen noch so kleinen positiven Wert hätte. Man würde, wenn man die in einem Flächenelement liegenden Anfangsrichtungen zu kürzesten Linien verlängert, eine unbegrenzte Fläche mit konstantem positiven Krümmungsmaß, also eine Fläche erhalten, welche in einer ebenen dreifach ausgedehnten Mannigfaltigkeit die Gestalt einer Kugelfläche annehmen würde und welche folglich endlich ist.

[pag. 19]

3.

Die Fragen über das Unmeßbargroße sind für die Naturerklärung müßige Fragen. Anders verhält es sich aber mit den Fragen über das Unmeßbarkleine. Auf der Genauigkeit, mit welcher wir die Erscheinungen ins Unendlichkleine verfolgen, beruht wesentlich die Erkenntnis ihres Kausalzusammenhangs. Die Fortschritte der letzten Jahrhunderte in der Erkenntnis der mechanischen Natur sind fast allein bedingt durch die Genauigkeit der Konstruktion, welche durch die Erfindung der Analysis des Unendlichen und die von Archimed, Galilei und Newton aufgefundenen einfachen Grundbegriffe, deren sich die heutige Physik bedient, möglich geworden ist. In den Naturwissenschaft aber, wo die einfachen Grundbegriffe zu solchen Konstruktionen bis jetzt fehlen, verfolgt man, um den Kausalzusammenhang zu erkennen, die Erscheinungen ins räumlich Kleine, soweit es das Mikroskop nur getattet. Die Fragen über die Maßverhältnisse des Raumes im Unmeßbarkleinen gehören also nicht zu den müßigen.
Setzt man voraus, daß die Körper unabhängig vom Ort existieren, so ist das Krümmungsmaß überall konstant, und es folgt dann aus den astronomischen Messungen, daß es nicht von Null verschieden sein kann; jedenfalls müßte sein reziproker Wert eine Fläche sein, gegen welche das unsern Teleskopen zugängliche Gebiet verschwinden müßte. Wenn aber eine solche Unabhängigkeit der Körper vom Ort nicht stattfindet, so kann man aus den Maßverhältnisse im Großen nicht auf die im Unendlichkleinen schließen; es kann dann in jedem Punkte das Krümmungsmaß in drei Richtungen einen beliebigen Wert haben, wenn nur die ganze Krümmung jedes Meßbaren Raumteils nicht merklich von Null verschieden ist; noch komplizierte Verhältnisse können eintreten, [pag. 20] wenn die vorausgesetzte Darstellbarkeit eines Linienelements durch die Quadratwurzel aus einem Differentialausdruck zweiten Grades nicht stattfindet. Nun scheinen aber die empirische Begriffe, in welchen die räumlichen Maßbestimmungen gegründet sind, der Begriff des festen Körpers und des Lichtstrahls, im Unendlichkleinen ihre Gültigkeit zu verlieren; es ist also sehr wohl denkbar, daß die Maßverhältnisse des Raumes im Unendlichkleinen den Voraussetzungen der Geometrie nicht gemäß sind, und dies würde die Erscheinungen auf einfachere Weise erklären ließen.
Die Frage über die Gültigkeit der Voraussetzungen der Geometrie im Unendlichkleinen hängt zusammen mit der Frage nach dem innern Grunde der Maßverhältnisse des Raumes. Bei dieser Frage, welche wohl noch zur Lehre vom Raume gerechnet werden darf, kommt die obige Bemerkung zur Anwendung, daß bei einer diskreten Mannigfaltigkeit das Prinzip der Maßverhältnisse schon in dem Begriffe dieser Mannigfaltigkeit enthalten ist, bei einer stetigen aber anders woher hinzukommen muß. Es muß also entweder das dam Raume zugrunde liegende Wirckliche eine diskrete Mannigfaltigkeit bilden, oder den Grund der Maßverhältnisse außerhalb, in darauf wirkenden bindenden Kräften gesucht werden.
Die Entscheidung dieser Fragen kann nur gefunden werden, indem man von der bisherigen durch die Erfahrung bewährten Auffassung der Erscheinungen, wozu Newton den Grund gelegt, ausgeht und diese durch Tatsachen, die sich aus ihr nicht erklären lassen, getrieben allmählich umarbeitet; solche Untersuchungen, welche, wie die hier geführte, von allgemeinen Begriffen ausgehen, können nur dazu dienen, daß diese Arbeit nicht durch die Beschränktheit der Begriffe gehindert und der Fortschritt im Erkennen des Zusammenhangs [pag. 21] der Dinge nicht durch überlieferte Vorurteile gehemmt wird.
Es führt dies hinüber in das Gebiet einer andern Wissenschaft, in das Gebiet der Physik, welches wohl die Natur der heutigen Veranlassung nicht zu betreten erlaubt.