Aanvullende gegevens:
R. Dedekind, Wass sind und was sollen die Zahlen?, vierde editie, Braunsweig: Friedrich Vieweg & Sohn (1918), XIV + 58 pp.; oorspronkelijk document in ghotische letterdruk, hier letterlijk getranscribeerd (met weglating van de oude ringel-s).
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Was sind
und was sollen die Zahlen?



Von

Richard Dedekind
Professor an der technischen Hochschule in Braunschweig




Vorwort zur ersten Auflage.

Was beweisbar ist, soll in der Wissenschaft nicht ohne Beweis geglaubt werden. So einleuchtend diese Forderung erscheint, so ist sie doch, wie ich glaube, selbst bei der Begründung der einfachsten Wissenschaft, nämlich desjenigen Theiles der Logik, welcher die Lehre von den Zahlen behandelt, auch nach den neuesten Darstellungen 1) noch keineswegs als erfüllt anzusehen. Indem ich die Arithmetik (Algebra, Analysis) nur eine Theil der Logik nenne, spreche ich schon aus, daß ich den Zahlbegriff für gänzlich unabhängig von den Vorstellungen oder Anschauungen des Raumes und der Zeit, daß ich ihn vielmehr für einen unmittelbaren Ausfluß der reinen Denkgeseße halte. Meine Hauptantwort auf die im Titel dieser Schrift gestellte Frage lautet: die Zahlen sind freie Schöpfungen des menschlichen Geistes, sie dienen als ein Mittel, um die Verschiedenheit der Dinge leichter und schärfer aufzufassen. Durch den rein logischen Aufbau der Zahlen-Wissenschaft und durch das in ihr gewonnene stetige Zahlen-Reich sind wir erst in den Stand geseßt, unsere Vorstellungen von Raum und Zeit genau zu untersuchen, indem wir dieselben auf dieses [pag. IV] in unserem Geiste geschaffene Zahlen-Reich beziehen 2). Verfolgt man genau, was wir bei dem Zählen der Menge oder Anzahl von Dingen thun, so wird man auf die Betrachtung der Fähigkeit des Geistes geführt, Dinge auf Dinge zu beziehen, einem Dinge ein Ding entsprechen zu lassen, oder ein Ding durch ein Ding abzubilden, ohne welche Fähigkeit überhaupt kein Denken möglich ist. Auf dieser einzigen, auch sonst ganz unentbehrlichen Grundlage muß nach meiner Ansicht, wie ich auch schon bei einer Ankündigung der vorliegenden Schrift ausgesprochen habe 3), die gesammte Wissenschaft der Zahlen errichtet werden. Die Absicht einer solchen Darstellung habe ich schon vor der Herausgabe meiner Schrift über die Stätigkeit gefaßt, aber erst nach Erschienen derselben, und mit vielen Unterbrechungen, die durch gesteigerte Amtsgeschäfte und andere nothwendige Arbeiten veranlaßt wurden, habe ich in den Jahren 1872 bis 1878 auf wenigen Blättern einen ersten Entwurf aufgeschrieben, welchen dann mehrere Mathematiker eingesehen und theilweise mit mit besprochen haben. Er trägt denselben Titel und enthält, wenn auch nicht auf das Beste geordnet, doch alle wesentlichen Grundgedanken meiner vorliegenden Schrift, die nur deren sorgfältige Ausführung giebt; als solche Hauptpunkte erwähne ich hier die scharfe Unterscheidung des Endlichen vom Unendlichen (64), den Begriff der Anzahl von Dingen (161), den Nachweis, daß die unter dem Ramen der vollständigen Induction (oder des Schlusses von n auf n + 1) bekannte Beweisart wirklich beweiskräftig (59, 60, 80), und daß auch die Definition durch Induction (oder Recursion) bestimmt und widerspruchsfrei ist (126).
Diese Schrift kann Jeder verstehen, welcher Das Besßt, was man den gesunden Menschenverstand nennt; philosophische oder mathematische Schulkenntnisse sind dazu nicht im Geringsten erforderlich. Aber ich weiß sehr wohl, daß gar Mancher in den schattenhaften Gestalten, die ich ihm vorführe, seine Zahlen, die ihn als treue und [pag. V] vertraute Freunde durch das ganze Leben begleitet haben, kaum wiedererkennen mag; er wird durch die lange, der Beschaffenheit unseres Treppen-Verstandes entsprechende Reihe von einfachen Schlü, durch die nüchtere Zergliederung der Gedankenreihe, auf denen die Geseße der Zahlen beruhen, abgeschreckt und ungeduldig darüber werden, Beweise für Wahrheiten verfolgen zu sollen, die ihm nach seiner vermeintlichen inneren Anschauung von vornherein einleuchtend und gewiß erscheinen. Ich erblicke dagegen gerade in der Möglichkeit, solche Wahrheiten auf andere, einfachere zurückzuführen, mag die Reihe der Schlüsse noch so lang und scheinbar künstlich sein, einen überzeugenden Beweis dafür, daß ihr Besiß oder der Glaube an sie niemals unmittelbar durch innere Anschauung gegeben, sondern immer nur durch eine mehr oder weniger vollständige Wiederholung der einzelnen Schlüsse erworben ist, Ich möchte diese, der Schnelligkeit ihrer Ausführung wegen schwer zu verfolgende Denkthätigkeit mit derjenigen vergleichen, welche ein volkommen geübter Leser verrichtet; auch dieses Lesen bleibt immer eine mehr ider weniger vollständige Wiederholung der einzelnen Schritte, welche der Anfänger bei dem mühseligen Buchstabiren auszuführen hat; ein sehr kleiner Theil dersleben, und deshalb eine sehr kleine Arbeit oder Anstrengung des Geistes reicht aber für den geübten Leser schon aus, und das richtige, wahre Wort zu erkennen, freilich nur mit sehr großer Wahrscheinlichkeit; denn bekanntlich begegnet es auch dem geübten Corrector von Zeit zu Zeit, einen Druckfehler stehen zu lassen, d.h. falsch zu lesen, was unmöglich wäre, wenn die zum Buchstabiren gehörige Gedankenkette vollständig wiederholt würde. So sind wir auch schon von unserer Geburt an beständig und in immer steigendem Maße veranlaßt, Dinge auf Dinge zu beziehen und damit diejenige Fähigkeit des Geistes zu üben, auf welcher auch die Schöpfung der Zahlen beruht; durch diese schon in unsere ersten Lebensjahre fallende unablässige, wenn auch absichtslose Uebung und die damit verbundene Bildung von Urtheilen und Schlußreihen erwerben wir uns auch einen Schaß von eigentlich arithmetischen Wahrheiten, auf welche später unsere ersten Lehrer sich wie auf etwas Einfaches, Selbstverständliches, in der inneren Anschauung Gegebenes [pag. VI] beruhen, und so kommt es, daß manche, eigentlich sehr zusammengeseßte Begriffe (wie z.B. der der Anzahl von Dingen) fälschlich für einfach gelten. In diesem Sinne, den ich durch die, einem bekannten Spruche nachgebildeten Worte bezeichne, mögen die folgenden Blätter als ein Versuchm die Wissenschaft der Zahlen auf einheitlicher Grundlage zu errichten, wohlwollende Aufnahme finden, und mögen sie andere Mathematiker dazu anregen, die langen Reihen von Schlüssen auf ein bescheideneres, angenehmeres Maß zurückzuführen.
Dem Zwecke dieser Schrift gemäß beschränke ich mich auf die Betrachtung der Reihe der sogenannten natürlichen Zahlen. In welcher Art später die schrittweise Erweiterung des Zahlbegriffes, die Schöpfung der Null, der negativen, gebrochenenm irrationalen und complexen Zahlen stets durch Zurückführen auf die früheren Begriffe herzustellen ist, und zwar ohne jede Einmisschung fremdartiger Vorstellungen (wie z.B. der der meßbaren Größen), die nach meiner Auffassung erst durch die Zahlen-Wissenschaft zu vollständiger Klarheit erhoben werden können, das habe ich wenigstens an dem Beispiele der irrationalen Zahlen in meiner früheren Schrift über der Stetigkeit (1872) gezeigt; in ganz ähnlicher Weise lassen sich, wie ich daselbst (§. 3) auch schon ausgesprochen habe, die anderen Erweiterungen leicht behandeln, und ich behalte mir vor, diesem Gegenstande eine zusammenhängende Darstellung zu widmen. Gerade bei dieser Auffassung erscheint es als etwas Selbstverständliches und durchaus nicht Neues, daß jeder, auch noch si fern liegende Saß der Algebra und höheren Analysis sich als ein Saß über die natürlichen Zahlen aussprechen läßt, eine Behauptung, die ich auch wiederholt aus dem Munde von Dirichlet gehört habe. Aber ich erblicke keineswegs etwas Verdienstliches darin -- und das lag auch Dirichlet gänzlich fern --, diese mühselige Umschreibung wirklich vornehmen und keine anderen, als die natürlichen Zahlen benußen und anerkennen zu wollen. Im Gegentheil, die größten und fruchtbarsten Fortschritte in der Mathematik und anderen Wissenschaften sind vorzugsweise durch die Schöpfung und Einführung neuer Begriffe gemacht, nachdem die häufige Wiederkehr zusammengeseßter [pag. VII] Erscheinungen, welche von den alten Begriffen nur mühselig beherrscht werden, dazu gedrängt hat. Ueber diesen Gegenstand habe ich im Sommer 1854 bei Gelegenheit meiner Habilitation als Privatdocent zu Göttingen einen Vortrag vor der philosophischen Facultät zu halten gehabt, dessen Absicht auch von Gauß gebilligt wurde; doch ist hier nicht der Ort, näher darauf einzugehen.
Ich benuße statt dessen die Gelegenheit, noch einige Bemerkungen zu machen, die sich auf meine frühre, oben erwähnte Schrift über Stetigkeit und irrationale Zahlen beziehen. Die in ihr vorgetragene im Herbste 1858 erdachte Theorie der rationalen Zahlen grüdet sich auf diejenige, im Gebiete der rationalen Zahlen auftretende Erscheinung (§. 4), die ich mit dem Namen eines Schnittes belegt und zuerst genau erforscht habe, und sie gipselt in dem Beweise der Stetigkeit des neuen Gebietes der reellen Zahlen (§. 5. IV). Sie scheint mir etwas einfacher, ich möchte sagen ruhiger, zu sein, als die beiden von ihr und von einander verschiedenen Theorien, welche von den Herren Weierstraß und G. Cantor aufgestellt sind und ebenfalls vollkommene Strenge besißen. Sie ist später ohne wesentliche Aenderung von Herrn U Dini in die Fondamenti per la teorica delle funzioni di variabili reali (Pisa, 1878) aufgenommen; aber der Umstand, daß mein Name im Laufe dieser Darstellung nicht bei der Beschreibung der rein arithmetischen Erscheinung des Schnittes, sondern zufällig gerade da erwähnt wird, wo es sich um die Existenz einer dem Schnitte entsprechende meßbaren Größe handelt, könnte leicht zu der Vermuthung führen, daß meine Theorie sich auf die Betrachtung solcher Größen stüßte. Nichts könnte unrichtiger sein; vielmehr habe ich im §. 3 meiner Schrift verschiedene Gründe angeführt, weshalb ich die Einmisschung der meßbaren Größen gänzlich verwerfe, und namentlich am Schlusse hinsichlich deren Existenz bemerke, daß für einen Großen Theil der Wissenschaft vom Raume die Stetigkeit seiner Gebilde gar nicht einmal eine nothwendige Voraussetzung ist, ganz abgesehen davon, daß sie in den Wercken über Geometrie zwar wohl dem Ramen nach beiläufig erwähnt, aber niemals deutlich erklärt, also auch nicht für Beweise zugänglich gemacht wird. Um dies noch [pag. VIII] näher zu erläutern, bemerke ich beispielsweise Folgendes. Wählt man drie nicht in einer Geraden liegende Puncte A, B, C nach Belieben, nur mit der Beschränkung, daß die Verhältnisse ihrer Entfernungen AB, AC, BC algebraische 4) Zahlen sind, und sieht man im Raume nur diejenigen Puncte M als vorhanden an, für welche die Verhältnisse von AM, BM, CM zu AB ebenfalls algebraische Zahlen sind, so ist der aus diesen Puncten M bestehende Raum, wie leicht zu sehen, überall unstetig; aber troß der Unstetigkeit dieses Raumes sind in ihm, so viel ich sehe, alle Constructionen, welche in Euklid's Elementen auftreten, genau ebenso ausführbar, wie in dem volkommen stetigen Raume; die Unstetigjeit dieses Raumes würde daher in Euklid's Wissenschaft gar nicht bemerkt, gar nicht empfunden werden. Wenn wir aber Jemand sagt, wir könnten uns den Raum gar nicht anders als stetig denken, so möchte ich das bezweifeln und darauf aufmerksam machen, eine wie weit vorgeschrittene, seine wissenschaftliche Bildung erforderlich ist, um nur das Wesen der Stetigkeit deutlich zu erkennen und um zu begreifen, daß außer den rationalen Größen-Verhältnissen auch irrationale außer den algebraischen auch transcendente denkbar sind. Um so schöner erscheint es mir, daß der Mensch ohne jede Vorstellung von meßbaren Größen, und zwar durch ein endliches System einfacher Denkschritte sich zur Schöpfung des reinen, stetigen Zahlenreiches aufschwingen kann; und erst mit diesem Hülfsmittel wird es ihm nach meiner Ansicht möglich, die Vorstellunf vom stetigen Raume zu einer deutlichen auszubilden.
Dieselbe, auf die Erscheinung des Schnittes gegründete Theorie der irrationalen Zahlen findet man auch dargestellt in der Introduction à la théorie des fonction d'une variable von J. Tannery (Paris, 1886). Wenn ich eine Stelle der Vorrede dieses Werkes richtig verstehe, so hat der Herr Verfasser diese Theorie selbständig, also zu einer Zeit erdachtm wo ihm nicht nur meine Schrift, sondern auch die in derselben Vorrede erwähnten Fondamenti von Dini noch unbekannt waren; diese Uebereinstimmung scheint mir ein erfreulicher Beweis dafür zu sein, daß meine Auffassung der Natur der Sache entspricht, was auch von anderen Mathematikern, z.B. von Herrn M. Pasch in seiner Einleitung in die Differential- und Integralrechnung (Leipzig, 1883) anerkannt ist. Dagegen kann ich Herrn Tannery nicht ohne Weiteres beistimmen, wenn er diese Theorie die Entwickelung eines von Herrn J. Bertrand herrührenden Gedankens nennt, welcher in dessen Traité d'arithmétique enthalten sei und darin bestehe, eine irrationale Zahl zu definiren durch Angabe aller rationalen Zahlen, die kleiner, und aller derjenigen, die größer sind als die zu definirende Zahl. Zu diesem Ausspruch, der von Herrn D. Stolz -- wie es scheint, ohne nähere Prüfung -- in der Vorrede zum zweiten Theile seiner Vorlesungen über allgemeine Arithmetik (Leipzig, 1886) wiederholt istm erlaube ich mir Folgendes zu bemerken. Daß eine rationale Zahl durch die eben beschreibene Angabe in der That als vollständig bestimmt ist, diese Ueberzeugung ist ohne Zweifel auch vor Herrn Bertrand immer Gemeingut aller Mathematiker gewesen, die sich mir dem Begriffe des Irrationalen beschäftigt haben; jedem Rechner, der eine irrationale Wurzel einer Gleichung näherungsweise berechnet, schwebt gerade diese Art ihrer Bestimmung vor; und wenn man, wie es Herr Bertrand in seinem Werke ausschließlich thut (mir liegt die achte Auflage aus dem Jahre 1885 vor), die irrationale Zahl als Verhältniß meßbarer Größen auffaßt, so ist diese Art ihrer Bestimmtheit schon auf das Deutlichste in der berühmten Definition ausgesprochen, welche Euklid (Elemente V. 5) für die Gleichheit der Verhältnisse ausstellt. Eben diese uralte Ueberzeugung ist nun gewiß die Quelle meiner Theorie, wie derjenigen des Herrn Bertrand und mancher anderen, mehr oder weniger durchgeführten Versuche gewesen, die Einführung der irrationalen Zahlen in die Arithmetik zu begründen. Aber wenn man Herrn Tannery soweit vollständig beistimmen wird, so muß man bei einer wirklichen Prüfung doch sofort bemerken, daß die Darstellung des Herrn Bertrand, in der die Erscheinung des Schnittes in ihrer logischen Reinheit gar nicht einmal erwähnt wird, mit der meinigen durchaus keine Aehnlichkeit [pag. X] hat, insofern sie sogleich ihre Zuflucht zu der Existenz einer meßbaren Größe nimmt, was ich aus den oben besprochenen Gründen gänzlich verwerfe; und abgesehen von diesem Umstande scheint mir diese Darstellung auch in den nachfolgenden, auf die Annahme dieser Existenz gegründeten Definitionen und Beweisen noch einige so wesentliche Lücken darzubieten, daß ich die in meiner Schrift (§. 6) ausgesprochene Behauptung der Saß 2 . 3 = 6 sei noch nirgends streng bewiesen, auch in Hinsicht auf dieses, in mancher anderen Beziehung treffliche Werk, welches ich damals noch nicht kannte, für gerechtfertigt halte.

Harzburg, 5. October 1887.

R. Dedekind.






Vorwort zur zweiten Auflage.

Die vorliegende Schrift hat bald nach ihrem Erscheinen neben günstigen auch ungünstige Beurtheilungen gefunden, ja es sind ihr arge Fehler vorgeworfen. Ich habe mich von der Richtigkeit dieser Vorwürfe nicht überzeugen können lasse jeßt die seit Kurzem vergriffene Schrift, zu deren öffentlicher Vertheidigung es mir an Zeit fehlt, ohne hede Aenderung wieder abdrucken, indem ich nur folgende Bemerkungen dem ersten Vorworte hinzufüge.
Die Eigenschaft, welche ich als Definition (64) des unendlichen System benußt habe, ist schon vor dem Erscheinen meiner Schrift von G. Cantor (Ein Beitrag zur Mannigfaltigkeitslehre, Crelle's Journal, Bd. 84; 1878), ja sogar schon von Bolzano (Paradoxien des Unendlichen §. 20; 1851) hervorgehoben. Aber keiner der genannten Schriftsteller hat den Versuch gemacht, diese Eigenschaft zur Definition des Unendlichen zu erheben und auf dieser Grundlage die [pag. XI] Wissenschaft von den Zahlen streng logisch aufzubauen, und gerade hierin besteht der Inhalt meiner mühsamen Arbeit, die ich in allem Wesentlichen schon mehrere Jahre vor dem Erscheinen der Abhandlung von G. Cantor und zu einer Zeit vollendet hattem als mir das Werk von Bolzano selbst dem Namen nach gänzlich unbekannt war. Für Diejenigen, welche Interesse und Verständniß für die Schwierigkeiten einer solchen Untersuchung haben, bemerke ich noch Folgendes. Man kann eine ganz andere Definition des Endlichen und Unendlichen aufstellen, welche insofern noch einfacher erscheint, als bei ihr nicht einmal der Begriff der Aehnlichkeit einer Abbildung (26) vorausgeseßt wird, nämlich:
,,Ein System S heißt endlich, wenn es sich so in sich selbst abbilden läßt (36), daß kein echter Theil (6) von S in sich selbst abgebildet wird; im entgegengeseßten Falle heißt S ein unendliches System.''
Nun mache man einmal den Versuch, auf dieser neuen Grundlage das Gebäude ze errichten! Man wird alsbald auf große Schwierigkeiten stoßen, und ich glaube behaupten zu dürfen, daß selbst der Nachweis der vollständigen Uebereinstimmung dieser Definition mit der früheren nur dann (und dann auch leicht) gelingt, wenn man die Reihe der natürlichen Zahlen schon als entwickelt ansehen und auch die Schlußbetrachtung in (131) zu Hülfe nehmen darf; und doch ist von allen diesen Dingen weder in der einen noch in der anderen Definition die Rede! Man wird dabei erkennen, wie sehr groß die Anzahl der Gedankenschritte ist, die zu einer solchen Umformung einer Definition erforderlich sind.
Etwa ein Jahr nach der Herausgabe meiner Schrift habe icg die schon im Jahre 1884 erschienen Grundlagen der Arithmetik von G. Frege kennen gelernt. Wie verschieden die in diesem Werke niedergelgte Ansicht über das Wesen der Zahl von der meinigen auch auch sein mag, so enthält es, namentlich von §. 79 an, doch auch sehr nahe Berührungspuncte mit meiner Schrift, insbesondere mit meiner Erklärung (44). Freilich ist die Uebereinstimmung wegen der abweichenden Ausdrucksweise nicht leicht zu erkennen; aber schon die [pag. XII] Bestimmtheit, mit welcher der Verfasser sich über die Schlußweise von n auf n + 1 ausspricht (unten auf S. 93), zeigt deutlich, daß er hier auf demselben Boden mit mir steht.
Inzwischen sind (1890-1891) die Vorlesungen über die Algebra der Logik von F. Schröder fast vollständig erschienen. Auf die Bedeutung dieses höchst anregenden Werkes, dem ich meine größte Anerkennung zolle, hier näher ainzugehen ist unmoöglich; vielmehr möchte ich mich entschuldigen, daß ich troß der auf S. 253 des ersten Theiles gemachten Bemerkung meine etwas schwerfälligen Bezeichnungen (8) und (17) doch behalten habe; dieselben machen keinen Anspruch darauf, allgemein angenimmen zu werden, sondern bescheiden sich, lediglich den Zwecken dieser arithmetischen Schrift zu dienen, wozu sie nach miener Ansicht besser geeignet sind, als Summen- und Productzeichen.

Harzburg, 24. August 1893.

R. Dedekind.



[pag. XIII]


Vorwort zur dritten Auflage.

Als ich vor etwa acht Jahren aufgefordert wurde, die damals schon vergriffene zweite Auflage dieser Schrift durch eine dritte zu erseßen, trug ich Bedenken darauf einzugehen, weil inzwischen sich Zweifel an der Sicherheit wichtiger Grundlagen meiner Auffassung geltend gemacht hatten. Die Bedeutung und teilweise Berechtigung dieser Zweifel verkenne ich auch heute nicht. Aber mein Vertrauen in die innere Harmonie unserer Logik ist dadurch nicht erschüttert; ich glaube, daß eine strenge Untersuchung der Schöpferkraft des Geistes, aus bestimmten Elementen ein neues Bestimmtes, ihr System zu erschaffen, das notwendig von jedem dieser Elementen verschieden ist, gewiß dazu führen wird, die Grundlagen meiner Schrift einwandfrei zu gestalten. Durch andere Arbeiten bin ich jedoch verhindert eine so schwierige Untersuchung zu Ende zu führen, und ich bitte daher um Nachsicht, wenn die Schrift jeßt doch in ungeänderter Form zum dritten Male erscheint, was sich nur dadurch rechtfertigen läßt, daß das Interesse an ihr, wie die anhaltende Nachfrage zeigt, noch nicht erloschen ist.

Braunschweig, 30. September 1911.

R. Dedekind.



[pag. XIV]


Inhalt.

Seite
Vorwort III-XIII
§. 1. Systeme von Elementen 1
§. 2. Abbildung eines Systems 6
§. 3. Aehnlichkeit einer Abbildung. Aehnliche Systeme 8
§. 4. Abbildung eines Systems in sich selbst 11
§. 5. Das Endliche und Unendliche 17
§. 6. Einfach unendliche Systeme. Reihe der natürlichen Zahlen 20
§. 7. Größere und kleinere Zahlen 22
§. 8. Endliche und unendliche Theile der Zahlenreihe 31
§. 9. Definition einer Abbildung de Zahlenreihe durch Induction 33
§. 10. Die Classe der einfach undendlichen Systeme 40
§. 11. Addition der Zahlen 43
§. 12. Multiplication der Zahlen 47
§. 13. Potenzirung der Zahlen 49
§. 14. Anzahl der Elemente eines endlichen Systems 51


[pag. 1]





§. 1.

Systeme von Elementen.


1. Im Folgenden verstehe ich unter einem Ding jeden Gegenstand useres Denkens. Um bequem von den Dingen sprechen zu können, bezeichnet man sie durch Zeichen, z.B. durch Buchstaben, und man erlaubt sich, kurz von dem ding a oder gar von a zu sprechen, wo man in Wahrheit das durch a bezeichnete Ding, keineswegs den Buchstaben a selbst meint. Ein Ding ist vollständig bestimmt durch alles Das, was von ihm ausgesagt oder gedacht werden kann. Ein Ding a is dasselbe wie b (identisch mit b), und b dasselbe wie a, wenn Alles, was von a gedacht werden kann, auch von b, und wenn Alles, was von b gilt, auch von a gedacht werden kann. Daß a und b nur Zeichen oder Ramen für ein und dasselbe Ding sind, wird durch das Zeichen a = b, und ebenso durch b = a angedeutet. Ist außerdem b = c, ist also c ebenfalls, wie a, ein Zeichen für das mit b bezeichnete Ding, so ist auch a = c. Ist die obige Uebereinstimmung des durch a bezeichneten Dinges mit dem durch b bezeichneten Dinge nicht vorhanden, so heißen diese Dinge a, b verschieden, a ist ein anderes Ding wie b, b ein anderes Ding wie a; es giebt irgend eine Eigenschaft, die dem einen zukommt, dem anderen nicht zukommt.
Es kommt sehr häufig vor, daß verschiedene Dinge a, b, c, ... aus irgend einer Veranlassung einem gemeinsamen Gesichtspuncte [pag. 2] aufgefaßt, im Geiste zusammengestellt werden, und man sagt dann, daß sie ein System S bilden; sie sind enthalten in S; umgekerht besteht S aus diesen Elementen. Ein solches System S (oder ein Inbegriff, eine Mannigfaltigkeit, eine Gesammtheit) ist als Gegenstand unseres Denkens ebenfalls ein Ding (1); es ist vollständig bestimmt, wenn von jedem Ding bestimmt ist, ob es Element von S ist oder nicht 5). Das System S daher dasselbe wie das System T, in Zeichen S = T, wenn jedes Element von S auch Element von T, und jedes Element von T auch Element von S ist. Für die Gleichförmigkeit der Ausdrucksweise ist es vortheilhaft, auch den besonderen Fall zuzulassen, daß ein System S aus einem einzigen (aus einem und nur einem) Element a besteht, d.h. daß das Ding a Element von S, aber jedes von a verschiedene Ding kein Element von S ist. Dagegen wollen wir das leere System, welches gar kein Element enthält, aus gewissen Gründen hier ganz ausschließen, obwohl es für andere Untersuchungen bequem sein kann, ein solches zu erdichten.
3. Erklärung. Ein System A heißt Theil eines Systems S, wenn jedes Element von A auch Element von S ist. Da diese Beziehung zwischen einem System A und einem System S im Folgenden immer wieder zu sprachen kommen wird, so wollen wir dieselbe zur Abkürzung durg das Zeichen A S ausdrücken. Das [pag. 3] umgekehrte Zeichen S A, wodurch dieselbe Thatsache bezeichnet werden könnte, werde ich der Deutlichkeit und Einfachkeit halber gänzlich vermeiden, aber ich werde in Ermangelung eines besseren Wortes bisweilen sagen, daß S Ganzes von A ist, wodurch also ausgedrückt werden soll, daß unter den Elementen von S sich auch alle Elementen von A befinden. Da ferner jedes Element s eines Systems S nach 2 selbst als System aufgefaßt werden kann, so können wir auch hierauf die Bezeichnung s S anwenden.
4. Saß. Zufolge 3 ist A A.
5. Saß. Ist A B und B A, so ist A = B.
Der Beweis folgt aus 3, 2.
6. Erklärung. Ein System A heißt echter Theil von S, wenn A Theil von S, aber verschieden von S ist. Nach 5 ist dann S kein Theil von A, d.h. (3) es giebt in S ein Element, welches kein Element von A ist.
7. Saß. Ist A B, und B C, was auch kurz durch A B C, bezeichnet werden kann, so ist A C, und zwar gewiß echter Theil von C, wenn A echter Theil von B, oder wenn B echter Theil von C ist.
Der Beweis folgt aus 3, 6.
8. Erklärung. Unter dem aus irgend welchen Systemen A, B, C, ... zusammengeseßten System, welches mit (A, B, C, ...) bezeichnet werden soll, wird dasjenige System verstanden, dessen Elementen durch folgenden Vorschrift bestimmt werden: ein Ding gilt dann und nur dann als Element von (A, B, C, ...), wenn es Element von irgend einem der Systeme A, B, C, ..., d.h. Element von A oder B oder C ... ist. Wir lassen auch den Fall zu, daß nur ein einziges System A vorliegt; dann ist offenbar (A) = A. Wir bemerken ferner, daß das aus A, B, C, ... zusammengeseßte System (A, B, C, ...) wohl zu unterscheiden ist von demjenigen System, dessen Elemente die Systeme A, B, C, ... selbst sind. [pag. 4]
9. Saß. Die Systeme A, B, C, ... sind Theile von

(A, B, C, ...).
Der Beweiß folgt aus 8, 3.
10. Saß. Sind A, B, C, ... Theile eines Systems S, so ist (A, B, C, ...) S.
Der Beweiß folgt aus 8, 3.
11/ Saß. Ist P Theil von einem der Systeme A, B, C, ..., so ist P (A, B, C, ...).
Der Beweis folgt aus 9, 7.
12. Saß. Ist jedes der Systeme P, Q, ... Theil von einem der Systeme A, B, C, ..., so ist (P, Q, ...) (A, B, C, ...).
Der Beweis folgt aus 11, 10.
13. Saß. Ist A zusammengeseßt aus irgend welchen der Systeme P, Q, ... so ist A (P, Q, ...).
Beweis. Denn jedes Element von A ist nach 8 Element von einem der Systeme P, Q, ..., folglich nach 8 auch Element von (P, Q, ...), woraus nach 3 der Saß folgt.
14. Saß. Ist jedes der Systeme A, B, C, ..., zusammengeseßt aus irgend welchen der Systeme P, Q, ..., so ist
(A, B, C, ...) (P, Q, ...).
Der Beweis folgt aus 13, 10.
15. Saß. Ist jedes der Systeme P, Q, ... Theil von einem der Systeme A, B, C, ..., und ist jedes der leßteren zusammengeseßt aus irgend welchen der ersteren, so ist
(P, Q, ...) = (A, B, C, ...).
Der Beweis folgt aus 12, 14, 5.
16. Saß. Ist A = (P, Q), und B = (Q, R), so ist (A, R) = (P, B).
Beweis. Denn nach dem vorhergehenden Saß 15 ist sowohl (A, R) als (P, B) = (P, Q, R).
17. Erklärung. Ein Ding g heißt gemeinsames Element der Systeme A, B, C ..., wenn es in jedem dieser Systeme (also [pag. 5] in A und in B und in C ...) enthalten ist. Ebenso heißt ein System T ein Gemeintheil von A, B, C ..., wenn T Theil von jedem dieser Systeme ist, und unter der Gemeinheit der Systeme A, B, C ... verstehen wir das vollständig bestimmte System (A, B, C ...), welches aus allen gemeinsamen Elementen g von A, B, C ... besteht und folglich ebenfalls ein Gemeintheil derselben Systeme ist. Wir lassen auch wieder den Fall zu, daß nur ein einziges System A vorliegt; dan ist (A) = A zu seßen. Es kann aber auch der Fall eintreten, daß die Systeme A, B, C ... gar kein gemeinsames Element, also auch keinen Gemeintheil, keine Gemeinheit besißen; sie heißen dann Systeme ohne Gemeintheil, und das Zeichen (A, B, C ...) ist bedeutungslos (vergl. den Schluß von 2). Wir werden es aber fast immer dem Leser überlassen, bei Säßen über Gemeinheiten die Bedingung ihrer Existenz hinzuzudenken und die richtige Deutung dieser Säße auch für den Fall der Nicht-Existenz zu finden.
18. Saß. Jeder Gemeintheil von A, B, C ... is Theil von (A, B, C ...).
Der Beweis folgt aus 17.
19. Saß. Jeder Theil von (A, B, C ...) ist Gemeintheil von A, B, C ...
Der Beweis folgt aus 17, 7.
20. Saß. Ist jedes der Systeme A, B, C ... Ganzes (3) von einem der Systeme P, Q, ... so ist
(P, Q, ...) (A, B, C ...).
Beweis. Denn jedes Element von (P, Q, ...) ist gemeinsames Element von P, Q, ..., also auch gemeinsames Element von A, B, C ..., w.z.b.w. [pag. 6]


§. 2.

Abbildung eines Systems.

21. Erklärung 6). Unter eine Abbildung eines Systems S wird ein Geseß verstanden, nach welchem zu jedem bestimmten Element s von S ein bestimmtes Ding gehört, welches das Bild von s heißt und mit (s) bezeichnet wird; wir sagen auch, daß (s) dem Element s entspricht, daß (s) durch die Abbildung aus s entsteht oder erzeugt wird, daß s durch die Abbildung in (s) übergeht. Ist nun T irgend ein Theil von S, so ist in der Abbildung von S zugleich eine bestimmte Abbildung von T enthalten, welche der einfachheit wegen wohl mit demselben Zeichen bezeichnet werden darf und darin besteht, daß jedem Elemente t des Systems T dasselbe Bild (t) entspricht, welches t als Element von S besißt; zugleich soll das System, welches aus allen Bildern (t) besteht, das Bild von T heißen und mit (T) bezeichnet werden, wodurch auch die Bedeutung von (S) erklärt ist. Als ein Beispiel einer Abbildung eines Systems ist schon die Belegung seiner Elemente mit bestimmten Zeichen oder Namen anzusehen. Die einfachste Abbildung eines Systems ist diejenige, durch welche jedes Element in sich selbst übergeht; sie soll die identische Abbildung des Systems heißen. Der Bequemlichkeit halber wollen wir in den folgenden Säßen 22, 23, 24, die sich auf eine beliebige Abbildung eines beliebigen Systems S beziehen, die Bilder von Elementen s und Theilen T entsprechend durch s' und T' bezeichnen; außerdem seßen wir fest, daß kleine und große lateinische Buchstaben ohne Accent immer Elemente und Theile dieses Systems S bedeuten sollen. [pag. 7]
22. Saß 7). Ist A B, so ist A' B'
Beweis. Denn jedes Element von A' ist das Bild eines in A, also auch in B enthaltenen Elementes und ist folglich Element von B', w.z.b.w.
23. Saß. Das Bild von (A, B, C, . . .) ist (A', B', C', . . .).
Beweis. Bezeichnet man das System (A, B, C, . . .) welches nach 10 ebenfalls Theil von S ist, mit M, so ist jedes Element seines Bildes M' das Bild m' eines Elementes m von M; da nun m nach 8 auch Element von einem der Systeme A, B, C, . . . und folglich m' Element von einem der Systeme A', B', C', . . . ist, so ist nach 3
M' (A', B', C', . . .).
Anderseits, da A, B, C, . . . nach 9 Theile von M, also A', B', C', . . . nach 22 Theile von M' sind, so ist nach 10 auch
(A', B', C', . . .) M'
und hieraus in Verbindung mir dem Obigen folgt nach 5 der zu beweisende Saß
M' = (A', B', C', . . .).
24. Saß 8). Das Bild jedes Gemeintheils von A, B, C, . . ., also auch das der Gemeinheit (A, B, C . . .) ist Theil von (A', B', C' . . .).
Beweis. Denn dasselbe ist nach 22 Gemeintheil von A', B', C', . . ., woraus der Saß nach 18 folgt.
25. Erklärung und Saß. Ist eine Abbildung eines Systems S, und eine Abbildung des Bildes S' = (S), so entspringt hieraus immer eine aus und zusammengeseßte 9) Abbildung von S, welche darin besteht, daß jedem Elemente s von S das Bild
(s) = (s') = ((s))
[pag. 8] entspricht, wo wieder (s) = s' geseßt ist. Diese Abbildung kann kurz durch das Symbol . oder , das Bild (s) durch (s) bezeichnet werden, wobei auf die Stellung der Zeichen , wohl zu achten ist, weil das Zeichen im Allgemeinen bedeutungslos ist und nur dann einen Sinn hat, wenn (S') S ist. Bedeutet nun eine Abbildung des Systems (S') = (S), und die aus und zusammengeseßte Abbildung des Systems S', so ist (s) = (s') = (s') = (s), also stimmen die zusammengeseßten Abbildungen und für jedes Element s von S mit einander überein, d.h. es ist = . Dieser Saß kann nach der Bedeutung von und füglich durch
. = .
ausgedrückt, und diese aus , , zusammengeseßte Abbildung kann kurz durch bezeichnet werden.


§. 3.

Aehnlichkeit einer Abbildung. Aehnliche Systeme.

26. Erklärung. Eine Abbildung eines Systems S heißt ähnlich (oder deutlich), wenn verschiedene Elementen a, b des Systems S stets verschiedene Bilder a' = (a), b' = (b) entsprechen. Da in diesem Falle umgekehrt aus s' = t' stets s = t folgt, so ist jedes Element des Systems S' = (S) das Bild s' von einem einzigen, vollständig bestimmten Elemente s des Systems S, und man kann daher der Abbildung von S eine umgekehrte, etwa mit zu bezeichnende Abbildung des Systems S' gegenüberstellen, welche darin besteht, daß jedem Elemente s' von S' das Bild (s') = s entspricht, und offenbar ebenfalls ähnlich ist. Es leuchtet ein, daß (S') = S, daß ferner die zu gehörige umgekehrte Abbildung, und daß die nach 25 aus und zusammengeseßte [pag. 9] Abbildung die identische Abbildung von S ist (21). Zugleich ergeben sich folgende Ergänzungen zu §. 2 unter Beibehaltung der dortigen Bezeichnungen.
27. Saß 10). Ist A' B', so ist A B
Beweis. Denn wenn a ein Element von A, so ist a' ein Element von A', also auch von B', mithin = b', wo b ein Element von B; da aber aus a' = b' immer a = b folgt, so ist jedes Element a von A auch Element von B, w.z.b.w.
28. Saß. Ist A' = B', so ist A = B.
Der Beweis folgt aus 27, 4, 5.
29. Saß 11). Ist G = (A, B, C . . .), so ist G' = (A', B', C' . . .).
Beweis. Jedes Element von (A, B, C . . .) ist jedenfalls in S' enthalten, also das Bild g' eines in S enthaltenen Elementes g; da aber g' gemeinsames Element von A', B', C' . . . ist, so muß g nach 27 gemeinsames Element von A, B, C . . ., also auch Element von G sein; mithin ist jedes Element von (A', B', C' . . .) Bild eines Elements g von G, also Element von G', d.h. es ist (A, B, C . . .) G', und hieraus folgt unser Saß mit Rücksich auf 24, 5.
30. Saß. Die identische Abbildung eines Systems ist immer eine ähnliche Abbildung.
31. Saß. Ist eine ähnliche Abbildung von S, und eine ähnliche Abbildung von (S), so ist die aus und zusammengeseßte Abbildung von S ebenfalls eine ähnliche, und die zugehörige umgekehrte Abbildung ist = .
Beweis. Denn verschiedenen Elementen a, b von S entsprechen verschiedene Bilder a' = (a), b' = (b), und diesen wieder verschiedene Bilder (a') = (a), (b') = (b), also ist [pag. 10] eine ähnliche Abbildung. Außerdem geht jedes Element (s) = (s') des Systems (S) durch in s' = (s) und dieses durch in s über, also geht (s) durch in s über, w.z.b.w.
32. Erklärung. Die Systeme R, S heißen ähnlich, wenn es eine derartige ähnliche Abbildung von S giebt, daß (S) = R, also auch (R) = S wird. Offenbar ist nach 30 jedes System sich selbst ähnlich.
33. Saß. Sind R, S ähnliche Systeme, so ist jedes mit R ähnliche System Q auch mit S ähnlich.
Beweis. Denn sind , solche ähnliche Abbildungen von S, R, daß (S) = R, (R) = Q wird, so ist (nach 31) eine solche ähnliche Abbildung von S, daß (S) = Q wird, w.z.b.w.
34. Erklärung. Man kann daher alle Systeme in Classen eintheilen, indem man in eine bestimmte Classe alle und nur die Systeme Q, R, S . . . aufnimmt, welche einem bestimmten System R, dem Repräsentanten der Classe, ähnlich sind; nach dem vorhergehenden Saße 33 ändert sich die Classe nicht, wenn irgend ein anderes, ihr angehöriges System S als Repräsentant gewählt wird.
35. Saß. Sind R, S ähnliche Systeme, so ist jeder Theil von S auch einem Theile von R, jeder echte Theil von S auch einem echten Theile von R ähnlich.
Beweis. Denn wenn eine ähnliche Abbildung von S, (S) = R, und T S ist, so ist nach 22 das mit T ähnliche System (T) R; ist ferner T echter Theil von S, und s ein nicht in T enthaltenes Element von S, so kann das in R enthaltene Element (s) nach 27 nicht in (T) enthalten sein; mithin ist (T) echter Theil von R, w.z.b.w. [pag. 11]


§. 3.

Abbildung eines Systems in sich selbst.

36. Erklärung.



Voetnoten:

1) Von den mir bekannt gewordenen Schriften erwähne ich das verdienstvolle Lehrbuch der Arithmetik und Algebra von E. Schröder (Leipzig, 1873), in welchen man auch ein Literaturverzeichniß findet, und außerdem die Abhandlungen von Kronecker und von Helmholtz über den Zahlbegriff und über Zählen und Messen (in der Sammlung der an E. Zeller gerichteten philosophischen Aussäße, Leipzig 1887). Das Erschienen dieser Abhandlungen ist die Veranlassung, welche mich bewogen hat, nun auch mit meiner, in mancher Beziehung ähnlichen, aber durch ihre Begründung doch wesentlich verschiedenen Auffassung hervorzutreten, die ich mir seit vielen Jahren und ohne jede Beeinflussung von irgend welcher Seite gebildet habe.

2) Vergl. §. 3 meiner Schrift: ,,Stetigkeit und irrationale Zahlen'' (Braunschweig, 1872).

3) Dirichlet's Vorlesungen über Zahlentheorie, dritte Auflage, 1879, §. 163, Anmerkung auf S. 470.

4) Dirichlet's Vorlesungen über Zahlentheorie, §. 159 der zweiten, §. 160 der dritten Auflage.

5) Auf welche Weise diese Bestimmtheit zu Stande kommt, und ob wir einen Weg kennen, um hierüber zu entscheiden, ist für alles Folgende gänzlich gleichgültig; die zu entwickelnden allgemeinen Geseße hängen davon gar nicht ab, sie gelten unter allen Umständen. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil Herr Kronecker vor Kurzem (im Band 99 des Journals für Mathematik, S. 334 bis 336) der freien Begriffsbildung in der Mathematik gewisse Beschränkungen hat auferlegen wollen, die ich nicht als berechtigt anerkenne; näher hierauf einzugehen erscheint aber erst dann geboten, wenn der ausgezeichnete Mathematiker siene Gründe für die Nothwendigkeit oder auch nur die Zweckmäßigkeit dieser Beschränkungen veröffentlicht haben wird.

6) Vergl. Dirichlet's Vorlesungen über Zahlentheorie, dritte Auflage, 1879, §. 163.

7) Vergl. Saß 27.

8) Vergl. Saß 29.

9) Eine Verwechselung dieser Zusammenseßung von Abbildungen mit derjenigen der Systeme von Elementen (8) ist whol nicht zu befürchten.

10) Vergl. Saß 22

11) Vergl. Saß 24.

12) Will man den Begriff ähnlicher Systeme (32) nicht benußen, so muß man sagen: S heißt unendlich, wenn es einen echten Theil von S giebt (6), in welchem S sich deutlich (ähnlich) abbilden läßt (26, 36). In dieser Form habe ich die Definition des Unendlichen, welche den Kern meiner ganzen Untersuchung bildet, im September 1882 Herrn G. Cantor, und schon mehrere Jahre früher auch den Herren Schwarz und Weber mitgetheilt. Alle andere mir bekannten Versuche, das Unendliche vom Endlichen zu unterscheiden, scheinen mir so wenig gelungen zu sein, dasß ich auf eine Kritik derselben verzichten zu dürfen glaube.

13) Eine ähnliche Betrachtung findet sich in §. 13 der Paradoxien des Unendlichen von Bolzano (Leipzig, 1851).

14) Der Deutlichkeit wegen habe ich hier und im folgenden Saße 126 die Bedingung I besonders angeführt, obwohl sie eigentlich schon eine Folge von II und III ist.

15) Offenbar ist die nach 25 aus , , zusammengeseßte Abbildung .

16) Die obige, unmittelbar auf den Saß 126 gegründete Erklärung der Addition scheint mir die einfachste zu sein. Mit Zusiehung des in 131 entwickelten Begriffes kann man aber die Summe m + n auch durch n(m) oder auch durch m(n) definiren, wo wieder die obige Bedeutung hat. Um die vollständige Uebereinstimmung dieser Definitionen mit der obigen zu beweisen, braucht man nach 126 nur zu zeigen, daß, wenn n(m) oder m(n) mit (n) bezeichnet wird, die Bedingungen (1) = m', (n') = (n) erfüllt sind, was mit Hüfe der vollständigen Induction (80) unter Zuziehung von 131 leicht gelingt.

17) Der Deutlichkeit und Einfachkeit wegen beschränken wir im Folgenden den Begriff der Anzahl durchaus auf endliche Systeme; wenn wir daher von einer Anzahl gewisser Dinge sprechen, so soll damit immer schon ausgedrückt sein, daß das System, dessen Elemente diese Dinge sind, ein endliches ist.